Märchen, wie der Teufel das Geigen lernte
  

nacherzählt von Dieter Stahl (Neuauflage 2002)

 
Es war zu der Zeit, als die Musiker noch von Hof zu Hof und von Stadt zu Stadt zogen, wenn sie nicht das Glück hatten, eine feste Anstellung zu haben. Sie mussten sich ihre Arbeit suchen. Ab und zu spielten sie mal auf dem Markplatz und verdienten sich die Groschen für die nächste Mahlzeit
Unser Märchen handelt von einem jungen Mann, der vortrefflich die Violine spielen konnte. Eines Abends kam er müde und kaputt an ein entlegenes Gasthaus und fragte an, ob man für ihn eine Herberge habe, aber die Wirtsleute sagten ihm, dass alle Zimmer belegt, ja dass man sogar schon überbelegt sei. "Ich bin aber sehr müde und der Wald ist dunkel, ich kann wirklich nicht mehr weitergehen. Gibt es denn gar keine Möglichkeit?" - "Naja", sagte der Wirt, "es gäbe da schon noch eine Möglichkeit, aber ich weiß nicht, ob sie Ihnen behagen wird. Ein paar Schritte von hier, man kann es nicht verfehlen, steht ein verlassenes Schloss mitten im Wald.
Dort sind eine Menge leerer Räume. Dort könntet ihr schlafen. Aber, ich muss gleich dabei sagen, die Sache hat eine Haken. Schon viele sind hinabgegangen, aber keiner ist zurückgekehrt. Es heißt, in der Nacht zwischen 11 und 12 Uhr käme der Teufel persönlich und treibe sein Unwesen dort im Schloss." Der Wirt bot dies an, weil er den Fremden loswerden wollte und er hatte erkannt, dass bei ihm nicht viel Geld zu holen war.
 
 


Der junge Geiger überlegte nicht lange und entschied, dass er es sicher schaffen würde. Er ließ sich ein großes Küchenmesser und einen Kerzenleuchter geben, nahm seine Sachen unter den Arm und zog hinab zu dem Schloss. Dort schaute er sich erst einmal um. Es gab wunderschön eingerichtete Räume. In den Essräumen lagen saubere Tischdecken und Servietten, in den Wohnräumen standen bequeme Möbel, in der Küche gab es Geschirr vom Feinsten und Töpfe und Pfannen. Es gab auch eine vollständig eingerichtete Werkstatt mit allen Werkzeugen und Geräten, die sich ein Handwerker wünschen konnte. Es war eben nur alles unbewohnt. Von den Schlafzimmern, in denen mit bunter Bettwäsche bezogene bequeme Betten standen, entschied er sich für eins ganz in Blau. Das war seine Lieblingsfarbe. Dort gab es ein schönes großes Himmelbett und einem ovalen Spiegel mit viel Gold. Er stellte den Kerzenleuchter auf den Tisch und das Messer legte er direkt daneben, damit er es schnell erreichen konnte. Er machte es sich bequem und fühlte sich eigentlich ganz wohl.
Da er aber noch nicht schlafen konnte, packte er seine Violine aus, spannte den Bogen und spielte ein paar schöne Melodien, einfach so, was ihm in den Sinn kam. Es machte ihm immer mehr Spaß, denn in den großen Räumen des Schlosses klang es ganz toll und er konnte auch wirklich sehr gut spielen. Ich denke er konnte es fast so gut wie der berühmte Paganini.
Nun rückte die Uhr, ohne dass er daran gedacht hatte, immer mehr auf die 11 Uhr zu. Da er in sein Geigenspiel versunken war, vergaß er nach der Uhr zu schauen und auf einmal war es 11 Uhr, ohne dass er es gemerkt hatte.
Er spielte gerade eine wunderschöne Passage, als sich die Türe ganz langsam öffnete und der Teufel im Türrahmen stand. Dieser zögerte ein wenig, weil er zunächst vermutet hatte, dass ein ganzes Streichorchester in dem Raum spielte. Verwundert blieb er stehen. Der Geiger bemerkte ihn, erschrak, hörte auf zu spielen, trat einen Schritt zurück und behielt das Messer im Auge, das mitten auf dem Tisch lag. "Was machst du hier? Dies ist mein Schloss. Hier hast du nichts zu suchen." Bei diesen Worten erzitterte der Geiger so, dass er beinahe sein wertvolles Instrument hätte fallen lassen.
Doch plötzlich fuhr der Teufel mit einer weicheren und wesentlich freundlicheren Stimme fort; "Du Wimmerholzspieler" - das war eigentlich eine Beleidigung für unseren großen Künstler - " dein Spiel klingt gar nicht schlecht, kann ich das nicht auch lernen?" "Och, ich glaube schon", sagte der Geiger und dachte daran, wie viele mühsame Jahre er gebraucht hatte, bis es bei ihm zum ersten Male so schön geklungen hatte, dass die Nachbarn nicht die Fenster zugemacht hatten. Er vermutete in der Freundlichkeit des Teufels eine List und schielte zu dem Messer hin. Doch dann gab er dem Teufel die Geige in die Linke und zeigte ihm wie man sie unter das Kinn nimmt. In die Rechte gab er ihm den Bogen. Der Teufel begann zu spielen, aber es kamen so fürchterliche, ängstliche Qietschtöne aus dem Instrument heraus, dass die Mäuse, die bekanntlich Einiges gewohnt sind, sich in den letzten Winkel des Schlosses verkrochen. "Halt, halt, du zerstörst ja meine Geige. Die muss zart gestrichen werden. Vor allem aber darfst du nicht mit deinen kräftigen Fingern die Saiten herunterdrücken. Ich habe Angst, dass du sie zerdrücken könntest."
Er ließ sich von dem Teufel die linke Hand zeigen, also die Finger mit denen man auf den Saiten die Töne greifen muss. Er schlug die Hände über dem Kopf zusammen und sagte: "Pfui Teufel, diese Finger sind absolut ungeeignet zum Geige spielen. Sie sind ja voller Schwielen und überzogen mit einer dicken Hornhaut. Mit denen wirst du nie Geige spielen lernen können."
Der Teufel fing an zu jammern, ob es da nicht doch irgendeine Möglichkeit gäbe, er würde so gerne und so weiter. Der Geiger dachte nach und machte dem Teufel eine Vorschlag, nämlich, man könnte mit einer Raspel die Hornhaut herunterraspeln. Er habe da im Keller des Schlosses eine Werkstatt gesehen. Sie gingen geschwind dorthin und fanden auch das richtige Werkzeug.
Der Geiger hieß den Teufel seine Finger in den Schraubstock zu halten, damit er zuschrauben könne. Kaum meinte der Teufel, es wäre jetzt fest genug, da drehte der Geiger mit beiden Händen den Schraubstock noch weiter zu. Der Teufel fing an zu schreien, denn das tut sicher nicht wenig weh, aber der Geiger ließ sich nicht erweichen.

 
 


Allmählich ging das Schreien in Jammern und Betteln über. "Ich werde dich erst losschrauben, wenn du mir beim Bart deiner Großmutter schwörst, dich nie wieder im Schloss blicken zu lassen." Erst wollte der Teufel ihm nur Geld geben, später wollte er ihm das Schloss schenken, aber schließlich versprach er, ihn nie wieder zu belästigen und ihn in Frieden leben zu lassen. Inzwischen war die Nacht fast vorüber und als der Teufel endlich seine geschundenen Finger aus dem Schraubstock nehmen konnte, machte dieser sich schnell davon, denn er hasste nichts mehr, als sich bei hellem Tageslicht sehen zu lassen.
Ob er wohl irgendwann noch einmal die Lust dazu gehabt hat, das Geigenspiel zu erlernen? Wohl kaum!
Die Leute in der benachbarten Herberge aber wunderten sich nicht schlecht, als der junge Mann fröhlich und ausgeruht mit seinem Geigenkasten unter dem Arm vom Schloss heraufkam. Sie hatten die ganze Nacht das Schreien gehört und kein Auge zugetan. Sie hatten nicht geahnt, dass die Schreie, die sich wahrlich teuflisch angehört hatten, wirklich auch von diesem stammten.
Den Rest der Geschichte kann man sich sicher denken. Der Geiger heiratete die jüngste Tochter des Herbergsvaters. Es war ein riesiges Fest mit dem Himmel voller Geigen, denn ein Musiker hat bekanntlich viele Freunde, die kommen und mitmusizieren; vor allem wenn es etwas zu essen und zu trinken gibt.
Und das wurde natürlich in diesem Schloss zum täglichen Geschehen. Wenn man heute an dem Schloss vorbeigeht, hört man immer schöne Musik aus allen Räumen. Naja, ich bin ganz ehrlich: Manchmal sind es auch Töne fast so wie die von dem Teufel. Aller Anfang ist bekanntlich schwer.

Dieses Schloss ist ein Geheimtipp. Aber, die Adresse wird nur unter Musikern weiterverraten und der, der die Geschichte aufgeschrieben hat, kennt sie.

 

  
  Seitenanfang